Page 22 - Operation Opernball
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1. Operation Opernball


                                wir die Frage daher: Was tun wir, wenn wir ein fertiges Manuskript
                                haben?  Gehen  wir  damit zu einem traditionellen Verlag oder ist es
                                vorteilhafter, das Buch in der eigenen Garage zu produzieren?
                                Es gibt in Deutschland eine Scham, einen geschriebenen Text selbst
                                zu verlegen. „Selbstverlag“ oder „Autorenverlag“ riecht nach Billig-
                                ware, Discounter und selbstgestrickten Socken aus der Nachkriegszeit.
                                Das Argument: Verlage seien eine Kontrolle, und erst diese Kontrol-
                                linstanz verleihe unseren Texten das Gütesiegel, gebe unserer Arbeit
                                die höheren Weihen, sakralisiere unser Opus urbi et orbi.
                                Das hat schon früher nicht der Wahrheit entsprochen – und heute noch
                                viel weniger. In den deutschen Medizinverlagen werden immer mehr
                                Ärzte durch Wirtschaftswissenschaftler ersetzt. Das mag  unterneh-
                                mensintern sinnvoll sein, aber sind Wirtschaftswissenschaftler kom-
                                petente Gesprächspartner für uns?
                                Zweitens haben auch einige Medizinverlage gelitten unter Globalisie-
                                rung, Effizienzphilosophie  und verschlankten Produktionsstrukturen.
                                Früher  waren  die  Bestseller dazu  da, genug Geld  einzuspielen, um
                                Bücher mitzufinanzieren, die nicht hochrentabel, aber eine sinnvolle
                                Ergänzung des Sortiments waren. Die Tendenz heute, wen wundert es:
                                möglichst keine Paradiesvögel durchfüttern, auf Nummer Sicher ge-
                                hen und von Anfang an die Finanzierung des neuen Titels durch den
                                Verkauf einer Teilauflage an ein pharmazeutisches Unternehmen si-
                                chern.
                                Drittens, und das ist für Ärzte vielleicht der traurigste Punkt: Die Sit-
                                ten verrohen,  die Regeln  der Höflichkeit  geraten  in  Vergessenheit.
                                Vor einer Generation, so erzählen die Alten, regierten Höflichkeit und
                                Zurückhaltung die  Kontakte  zwischen Ärzten und  Verlegern.  Auch
                                das ist leider zunehmend passé. Im Zeitalter der schnellen Produktion
                                wird der Arzt zum Rohstofflieferant, muß sich mehr denn je an Liefer-
                                fristen halten und wird behandelt,  wie viele  Menschen  Lieferanten
                                eben behandeln: unhöflich.
                                Doch zurück zu dem eingangs erwähnten Punkt, daß Verleger wichti-
                                ge Kontrollinstanzen für die Qualität unserer Texte seien. Grundsätz-
                                lich sind Kontrollinstanzen sinnvoll, doch sind Verleger die richtigen
                                Kontrolleure?  Außerdem: Wer  hätte 1990 in einem  Medizinverlag
                                darüber entscheiden dürfen, ob die Veröffentlichung von AIDS 1991
                                sinnvoll  war  oder nicht?  Welche Verlagsmitarbeiter hätten sich An-
                                fang Mai 2003 – da war das Ausmaß der SARS-Epidemie selbst den
                                Spezialisten erst seit 6  Wochen bekannt  –  anmaßen dürfen  zu  ent-

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